Ich muss mich zuallererst beim Steffen Verlag entschuldigen: Ich habe das Buch nun schon ein halbes Jahr und immer wieder darin begeistert und berührt gelesen und lange keine Worte gefunden, es für Euch mal zusammenzufassen.
Nicht immer braucht es viele Worte, doch dieser Band ist ein Kleinod, eine absolute Hilfe für Betroffene und Angehörige, aber auch Lesebuch oder Lebensbuch für Interessierte.
So etwas hätte ich damals gerne gehabt, als ich krank wurde.
36 ganz unterschiedliche Personen berichten hier via Interview und Zitaten von ihrer ganz eigenen Krebsgeschichte. Herausgeber ist das Institut für Sozialforschung und berufliche Weiterbildung Neustrelitz. Im hinteren Bereich des Buches werden sowohl Fotograf als auch Autorinnen und Sponsorin vorgestellt und damit auch ganz persönlich ihre Erlebnisse, den Zusammenhang mit Krebs vorgestellt.
Die Schwarzweißfotografien lassen uns in Wohnzimmer schauen, in Gesichter, die vom Leben erzählen, aber auch vom Schmerz und vom Heilen.
Handgeschriebene eigene Zitate der 36 Menschen runden das Ganze ab. Es ist sicherlich ein Buch, das man nicht "in einem Rutsch" durchlesen kann, schon gar nicht wenn man seine eigene Geschichte so nah fühlt, egal wie lange sie vorbei ist.
Aber man kann aus allem die Hoffnung mitnehmen, dass man überlebt, das Wissen, dass man intensiver leben lernt und das Gefühl von Glück, wenn eine Behandlung endlich vorbei ist. Beispielsweise Christine, die sagt:
"38-mal das Klicken der Türen,
38-mal das Summen der Geräte,
38-mal lautlose Strahlen, die die Kraft aus meinem Körper zogen...."
und sofort habe auch ich Bilder und Geräusche wieder im Kopf. Dennoch oder gerade deshalb sagt sie "carpe diem" und jeder Krebsi weiß was sie meint. Denn auch wenn wir Tage, Wochen in der Klinik verbrachten, so zählte doch immer jeder einzelne Moment. Und Zeit, die sich wie Kaugummi zieht ist gleichzeitig ganz schnell vorüber und man ist überrascht. All diese gegensätzlichen Gefühle und Erfahrungen beschreibt dieses Buch.
Ich beantworte Euch nun auch die Fragen, die die Interviewer stellten (und die ich zum Teil auch aus der Hodgkin-Forschung mit ihren Fragebögen kenne) - allerdings viel kürzer als in den 36 Berichten und mit dem herzlichen Tipp, Euch das Buch zuzulegen.
Wie hat die Diagnose Krebs Ihr Leben und das Ihrer Familie verändert?
Zunächst wurde ich glücklicher und dankbarer für das Leben. Dann jedoch, als der Alltag kam, regte ich mich auch wieder über kleine Dinge auf und das ärgerte mich. Einmal im Jahr - bei der Nachsorge - werde ich dann daran erinnert, wie kostbar Leben ist. Und bin wieder dankbar. Ich tue mehr für mich. Das muss mein Umfeld akzeptieren, sonst hat da schnell jemand keinen Platz mehr.
Was hat sie getragen? Wo fanden Sie Unterstützung?
Natürlich meine beiden Ärzte, der Onkologe und meine Hausärztin. Ihnen durfte ich immer alle Fragen stellen und das waren nicht wenige und immer hatten sie Zeit für mich. Aber vor allem meine damalige Partnerschaft. Es hat nie vorher jemand so viel für mich getan und ich lernte dadurch es zuzulassen - auch jetzt danach fällt es mir dadurch leichter Hilfe anzunehmen.
Was war und ist Ihre größte Herausforderung im Umgang mit der Krankheit?
Das Wartezimmer. Damals wie heute Ohren auf Durchzug - denn mich interessiert es nicht wer die meisten Tumore oder den schlimmsten Krebs hat. Mich zieht es zu Menschen, die nach vorne blicken und fast trotzig sagen "na und? Ich schaffe das!"
Was möchten Sie anderen Betroffenen und ihren Familien sagen?
Sprecht miteinander. Und wo Worte zuviel sind, haltet einander. Das gilt für fast alles im Leben.
Jess.
Mittwoch, 3. Februar 2016
fünfzehn Cent
Heute Morgen bei meinem Lieblingsdrogeriemarkt: Nach mir an der Kasse zwei Kinder, die - offensichtlich Geschwister - auf dem Weg zur Grundschule farbiges Haarspray kaufen möchten. Der kleine Junge gibt der Kassiererin eine Handvoll Kleingeld während ich meine Sachen einpacke. Mein Bauchgefühl sagt mir, ich solle mal abwarten und es hat recht: “Da fehlen fünfzehn Cent!” sagt die Kassiererin.
Den Kindern steht die sofortige Enttäuschung ins Gesicht geschrieben. “Siehste Vanessaaaaaa”, sagt der kleine Bruder zur großen Schwester, “es ist doch nicht genug!”
Schnell nehme ich fünfzehn Cent aus meinem Portemonnaie und reiche sie der Kassiererin. “Hier sind fünfzehn Cent.”
Sie und die Kinder starren mich mit offenem Mund an. Dann legt sie das Geld in die Kasse, lächelt die Kinder an und gibt dem Mädchen die Spraydose.
Ich packe meinen Geldbeutel ein und folge den Kindern, die bereits hinausgehüpft sind, dort aber auf mich warten.
“Sie sind aber nett.”, sagt Vanessa. “Naja, wegen fünfzehn Cent müsst ihr ja nicht traurig sein”, antworte ich und mir fällt gleichzeitig ein, dass ich als Kind froh war wenn mir die Oma von gegenüber Zuckerkekse schenkte oder der Nachbar für die Kirmes eine Runde Schmetterlingsbahn spendierte. Außerdem war ich in meiner Hartz IV Zeit manchmal auch um jeden Cent froh, für den ich dann doch noch Kartoffeln oder gar Brot kaufen konnte.
Okay, man mag sagen, hier geht es nicht ums Überleben. Aber man weiß wie garstig Kinder zu anderen Kindern sein können. Und jetzt ist Karnevalszeit - auch in den Schulen. Und richtig: Die große Schwester strahlt mich an: “Ich möchte am Montag als Pippi Langstrumpf in die Schule gehen und da muss ich doch rote Haare haben!” Der kleine Bruder nickt und grinst so ein typisches Kleiner-Bruder-will-auch-Grinsen.
“Naja, dann gibst du deinem Bruder ein bisschen was ab für sein schwarzes Haar, oder?”
“Ja”, nickt sie und will dem Bruder hinterher, der plötzlich zu Schulfreunden rennt.
“Viel Spaß, kleine Pippi Langstrumpf, ich muss weiter”, sage ich und sie läuft nach einem “Danke!” fort.
Und ich bin so glücklich!
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