Posts mit dem Label phenomenelle werden angezeigt. Alle Posts anzeigen
Posts mit dem Label phenomenelle werden angezeigt. Alle Posts anzeigen

Donnerstag, 10. August 2017

Buchtipp: DER BRIEF von CAROLIN HAGEBÖLLING

Ohne zuviel vorweg nehmen zu wollen: Das Ende ist anders als ich dachte. Und ich weiß auch noch nicht, ob ich das gut finde. Zumal ich mich von Büchern immer so schlecht trennen kann. Die Geschichten, die mich zwei bis drei Tage begleiten sind oftmal so intensiv, dass ein 220seitiges Buch in drei Teilen nicht wirklich dick genug ist.

Carolin Hagebölling beschreibt Maries, Christines, Johannas und Victors Geschichte sehr nah und emotional. Und sie sagt im Klappentext u.a. "Ich wollte einen Roman schreiben, der....auch existenzielle Fragen aufwirft: Sind die Dinge so, wie sie scheinen? Wo stellen wir die entscheidenden Weichen im Leben?"

Es ist ein besonderes Buch. Fesselnd von der ersten Seite an, unerträglich, wenn man es weglegen muss weil man ja vielleicht noch ein bisschen Alltag hat. Ich hätte mich lieber einen ganzen Tag von der Außenwelt abgeschottet, um es weiterzulesen.
Marie bekommt Briefe von Christine, die wiederum Briefe von Marie erhält. Doch keine der beiden will diese Briefe geschrieben haben. Plötzlich haben beide eine Idee von jeweils anderen aber eigenen Leben. Sie müssen sich fragen: Ist es das Leben, das ich leben will oder passt mir ein anderes besser? Gleichzeitig kommen Anrufe ins Spiel. Marie begibt sich auf die Suche, doch die mysteriösen Begebenheiten hören nicht auf. Und was hat ein Aneurysma mit alldem zu tun?

"Ich habe das Gefühl, dass das eine untrennbar mit dem anderen zusammenhängt. Wenn ich das eine verstanden habe, wird es auch für das andere eine Lösung geben"
Derart weise, hoffnungsvolle Sätze findet Carolin Hagebölling auf dennoch leichte Art und Weise. - "Das ist alles sehr sonderbar, geradezu unerklärlich. Aber wenn es nur eine Wahrheit gäbe, könnte man nicht hundert Bilder dazu malen. Das hat Picasso gesagt. Wie uninspirierend wäre das Leben, hätte es keine Geheimnisse mehr." Das hatte Laurent gesagt. -

Was ist die Wahrheit? Und hat nicht sowieso jeder seine eigene? So wie hier mit Subjektivuität gespielt wird, so regt diese Geschichte zum Denken an - möchte ich mein Leben so leben? Wäre ich in einem anderen Leben nicht ebenso vertraut mit der Person, die ich bin?

Also: Riesentipp: Lest dieses Buch!

Carolin Hagebölling hat auch eine inspirierende Website - ja, Schokolade schmeckt besser als Vanille. Und ich bin froh dass sie dieses Leben als Autorin gewählt hat. https://www.carolinhageboelling.de/

14,90 EUR
ISBN 978-3-423-26146-3

Donnerstag, 5. Mai 2016

phenomenelle-Rezension: Mildred Scheel-Erinnerungen an meine Mutter von Cornelia Scheel

Der prägendste Mensch für Tochter Cornelia

Ein Buch über den prägendsten Menschen im Leben zu schreiben ist schon für sich eine große Sache. Die eigene Kindheit nochmal zu durchleben würde mir persönlich schon genügen.
Dass Cornelia Scheel – heute im selben Alter wie ihre Mutter als diese viel zu früh verstarb – eben jene wichtige Zeit im Detail beschreibt, muss schmerzend und heilsam gleichermaßen gewesen sein.
Scheel spricht mit Freunden und Angehörigen, um die eigenen Erinnerungen zu vervollständigen und das macht das Buch zu einer Sammlung von Ansichten und Anekdoten über einen Menschen, der zum einen liebevolle Mutter, zum anderen Politikergattin und Ärztin gewesen ist. Nicht nur das: Mildred Scheel gründet 1974 die Deutsche Krebshilfe und legt damit den Grundstein für Aufklärung, Forschung und Begleitung und hält lange Zeit sogar ihre eigene Erkrankung geheim, um anderen Erkrankten und der Gesellschaft nicht den Glauben an eine Heilung zu nehmen (“Ich darf nicht sterben….denn sonst wirft das die Arbeit der Krebshilfe um Jahre zurück”).
Mich berührt das Geschriebene vielleicht besonders, weil ich auch schon Krebs-Hilfe bekommen habe.

Mildred Scheel war mir immer “irgendwie bekannt”

Mildred Scheel war lange vor meiner eigenen Bonner Zeit in der Stadt wohnhaft. In der alten Bonner Bundesrepublik war die Villa Hammerschmidt der Wohnsitz des Bundespräsidenten. Dennoch war sie mir schon immer “irgendwie bekannt”. Als ich dann selbst an Krebs erkrankte und nur noch Hartz IV bekam, half mir die Krebshilfe mit einer Einmalzahlung aus – die Klinik hatte mich dabei unterstützt.
Als ich wieder gesund war, konnte ich mit dem Erlös aus meinen Buchlesungen das Geld doppelt zurückgeben.
Dass die Krebshilfe, Mildred Scheels “viertes Kind” aber tatsächlich ausschließlich von Spenden am Leben erhalten wird, habe ich nicht gewusst. Darum finde ich es doppelt schön, dass am Ende des Buches der Krebshilfe-Vorsitzende Gerd Nettekoven zu Wort kommt. Krebshilfe-Präsident Fritz Pleitgen wird weiter vorne zitiert:
Die Deutsche Krebshilfe ist eine Jahrhundert-Organisation, gegründet von einer Jahrhundert-Frau.
Und dieser Satz beschreibt sie mit wenigen Worten ganz wunderbar. Sind doch die “Blauen Ratgeber” der deutschen Krebshilfe die erste Hilfe, auf die Erkrankte und Angehörige im Internet oder in den Warteräumen der Onkologie stoßen. Meiner Meinung nach übrigens auch das Einzige, was man lesen sollte wenn man die Diagnose Krebs bekommt – alles andere macht einen nur verrückt.

Kinder wichtiger als Besprechungen

Cornelia Scheel berichtet sehr offen von der Nähe zur Mutter, aber auch von Auseinandersetzungen oder dem Leben mit ihr ganz allgemein. Eine Mutter zum Spaß haben, aber auch mit einer gewissen Strenge, die immer für die Kinder da. Und die nach Dienstschluss die Telefonate der Krebshilfe zu sich nach Hause umleiten lässt, damit Hilfesuchende ihre Hilfe bekommen.
Eine Frau, die die Kleidung trägt, die sie mag – egal ob die einzelnen Teile zusammenpassen oder nicht. Während wichtigen Besprechungen nimmt Mildred Scheel die noch wichtigeren Anrufe ihrer Kinder entgegen. Sie reagiert “spontan und ungefiltert nach ihrem Bauchgefühl” und adoptiert nach zwei eigenen Töchtern noch einen kleinen Jungen. Über den Bruder schreibt Cornelia Scheel:
Ich bin jeden Tag dankbar und glücklich, dass dieser wundervolle Mensch Teil meines Lebens ist.
So kommt auch das Gefühl zwischen den Zeilen immer wieder an: Dieses Buch steckt voller Wertschätzung und Liebe.
Ich glaube, dass auch deshalb diese besondere Lebensgeschichte etwas mit einem macht. Eigentlich sind es ja zwei Lebensgeschichten, auch die der Cornelia Scheel, die so eng mit der Mutter verbunden ist und sie so sehr spürt, dass sich dieses Gefühl auf mich als Leserin überträgt.

Mildred Scheel war eine Menschenliebhaberin

Die Hochachtung und der Respekt für all die Unwägbarkeiten des Lebens, denen Mildred Scheel nicht ausgewichen ist, schwingen im ganzen Buch mit. Auch die große Liebe zu Walter Scheel und den Menschen ganz allgemein, fasst die Tochter in Worte. Aber auch das Knallhartsein der Mutter, wenn etwas in ihren Augen nicht korrekt lief. Man möchte diese Frau gekannt haben und ihr Lebenswerk unterstützen, aber auch Cornelia Scheel sagen:
Danke, dass nicht nur Andy Warhol ein buntes Portrait gezeichnet hat, sondern auch Sie!
Und zwar mit Buchstaben auf Papier, in einem gebundenen Buch, mit einer Mischung aus Privatfotos und aus der Presse bekannten Bildern.
Der Humor des Buches lässt mich manches Mal mehr als schmunzelnd zurück. Abergläubisch war die Ärztin Mildred Scheel. Weshalb sie morgens nicht mit dem linken Fuß aufstehen wollte und darum “kurz vor einer Hüftdysplasie” stand. Sie hatte Glücksbringer, die zum Beispiel wie eine alte Kartoffel aussehen. All jene Beschreibungen holen Mildred Scheel zurück in die Gegenwart. Ein Buch gegen das Vergessen? Nein, eine solche Frau kann man nicht vergessen, sie darf nicht vergessen werden. Aber auch Cornelia Scheel nicht, die so wunderbar diese alten Zeiten reflektiert, ihre eigene Person in den Hintergrund rückt und doch präsent ist, weil sie uns das alles erzählt, das Erlebte und das Nichterlebte, die Erinnerungen so vieler Menschen an ihre Mutter Dr. Mildred Scheel.
Danke, an beide Frau Scheels!
Gemeinsam mit Hella von Sinnen veranstaltet Cornelia Scheel Lesungen des Buches. Hella liest und Cornelia beantwortet Fragen. Lesungstermine findet ihr hier: Facebook Cornelia Scheel
Mildred Scheel: Erinnerungen an meine Mutter
Cornelia Scheel (mit Regina Carstensen)
Gebundene Ausgabe: 240 Seiten
Verlag: Rowohlt; Auflage: 3 (29. Oktober 2015)
ISBN-13: 978-3498060879
rowohlt.de/hardcover/cornelia-scheel-mildred-scheel
Wer mehr über Mildred Scheel wissen will, findet auf den Seiten der Deutschen Krebshilfe ein Kurz-Biographie: krebshilfe.de/deutsche-krebshilfe/dr-mildred-scheel-biografie. Meilensteine der Organisation sind hier aufgeführt: krebshilfe.de//40-jahre-deutsche-krebshilfe/meilensteine. Der Mildred-Scheel-Kreis, Förderverein der Deutschen Krebshilfe, braucht nach wie vor Spender_innen: krebshilfe.de/spenden/spenden-mildred-scheel-kreis.

Dienstag, 22. März 2016

HELLA VON SINNEN





Eine Frau, über die jeder eine Meinung hat - Sie wird gemocht, sie wird nicht gemocht - wie sie selbst in ihrem Bühnenprogramm Ich kann auch ANDERSen erzählt, bekommt sie sogar schlechte Kritiken wenn sie nur im Publikum sitzt.
Sie unterhält uns seit mehreren Jahrzehnten auf ihre ganz eigene Art, liest Micky Maus, liebt Disney im allgemeinen und erzählt uns heute Andersen-Märchen. Ich treffe Hella von Sinnen nach ihrem Auftritt in Baden-Baden.

Als Teenager habe ich vor 25 Jahren ihr Buch ICH BIN´S - VON SINNEN gelesen und dachte: "hurra, ich bin normal". In Zeiten ohne Internet und mit meist nur drei bis vier Fernsehprogrammen (RTLplus bloß mit Rauschen und Schnee, nicht weit vom Testbild entfernt, immer wieder an der kleinen Antenne gedreht, damit das Bild ein wenig besser würde), hatten wir nicht die Möglichkeiten wie heute.
Lesbisch - das war fremd, das war allenfalls mal ein Artikelchen in einer Jugendzeitschrift wert. Aber Vorbilder, Persönlichkeiten? Für Tennis interessierte ich mich nicht und Martina Navratilova wirkte so alt auf mich. Das hatte nichts mit meinen Gefühlen zu tun. Mit jemand darüber sprechen? Auf keinen Fall!
Man hat ja so viel um die Ohren in der Pubertät.
Doch dann, DAS Buch. Es klang darin alles so einfach. Es wurde schlüssig für mich, was ich selbst schon lange fühlte. Mittlerweile ist es abgegriffen und leicht vergilbt. Ich habe über die Jahre immer mehr darin angestrichen. Immer in Blau, passend zum Cover. In den Zeilen dieser bunten Frau aus dem Fernsehen, die so viel wusste, fand ich mich wieder - ich war erleichtert, "richtig" zu sein. Noch heute ist dieses Buch für mich eines der wichtigsten überhaupt.

Ihr Coming Out, erzählt sie mir heute, war mehr der Mut von Cornelia Scheel damals als ihrer. Bis jetzt - vor allem nachdem diese 2015 das Buch "Mildred Scheel - Erinnerungen an meine Mutter" veröffentlichte - erzählen ihr Frauen, wie wichtig es für sie war. Eine ging zum Beispiel zu ihren Eltern und sagte "So. Ich bin genau so wie die Tochter unseres ehemaligen Bundespräsidenten".
Akzeptanz und Geliebtwerden, das wollen wir doch alle. Und lieben. Doch wenn man nicht weiß, was man "darf" - darum war Hellas Buch so wichtig für mich. Außerdem ist es heute durchaus auch wieder nützlich, denn ich könnte ihre Antworten auf Journalistenfragen, die sie freundlicherweise im hinteren Teil des Buches eingefügt hat, einfach abschreiben.

Doch ich möchte mehr wissen. Sie sagt, "ich bin auch respektiert und akzeptiert in der Branche und das tut gut". Dass Cornelia damals sogar ihren Job verlor, ist in der heutigen Zeit fast unvorstellbar. Aus Hellas Wunsch im Buch, dass in zehn Jahren das Spießrutenlaufen Vergangenheit sein möge, ist nach fünfundzwanzig Jahren tatsächlich Wirklichkeit geworden. Anne Will, Miriam Meckel, Guido Westerwelle, der am Tag zuvor verstarb und an dessen Ehemann Michael Mronz wir alle denken - in unserer Gesellschaft dürfen wir SEIN. Und das nicht zuletzt, weil Hella damals gesagt hat "ich bin´s". Das bereicherte uns alle.

Wir sprechen auch über Verlust. Damals im Buch blickte sie auf ihre ersten 30 Lebensjahre zurück und stellte fest, dass "Schlappen, Misserfolge" durchaus im Nachhinein auch etwas Positives hatten. Wie es heute ist, möchte ich wissen, nicht unbedingt beruflich, sondern so als Mensch. Sie wirkt nachdenklich:
"Was uns nicht umhaut macht uns stärker. Es gehört einfach zum Leben dazu. Aber zum Beispiel mit Abschieden, Verlust umzugehen, das ist nun nicht meine Kernkomeptenz. Aber es wird besser."
Über Dirk Bach erzählt sie, der viel zu früh gehen musste und der ihr sowohl beruflich als auch privat fehlt, der aber bei jeder Entscheidung, bei jedem Schmerz und jeden Tag bei ihr ist:
"Sehen Sie, es ist nicht nur die Liebe, das Herz, der Kopf, die Erinnerung - er ist einfach bei mir."
Wir sprechen über Wiedergeburt, weil sie es auch im Buch erwähnt und auch weil ich mir vorstelle, dass die Verbindung zu Andersen vielleicht daher kommen kann. In Bezug auf Dirk Bach führt sie fort: "Die Liebe, die Energie, die stirbt nicht, Die ist bei mir und umhüllt mich".

Ob sie Andersen in einem anderen Leben gekannt habe, darüber hat sie noch nicht nachgedacht. Oder ob sie vielleicht Andersen war? "Ich fühle mich wohl in seinen Wörtern", erklärt sie, "und von dieser ganz starken gefühlsmäßigen Verbundenheit bin ich immer aufs Neue geflasht."
Sie beide verbindet sonst eigentlich recht wenig. Er ist gerne gereist, sie inzwischen lieber zuhause: "Ich komme nach Thailand, Sibirien - wenn ich im Bett fernsehe".
In ihrem Bühnenprogramm folgt darauf dann gleich ein Anekdötchen mit ihr und Cornelia in Dresden. Wir lachen Tränen. Dort war sie 3-4x, Andersen über 40x. Während er eine gute Mischung aus Naivität und Selbstvertrauen besaß, nennt sie sich "Das Etepeteteste, was ich kenne" - weil man hier im Badischen das Wort "fimschig" nicht kennt :)
Die Prinzessin auf der Erbse - in Bezug auf Mohnbrötchenkrümel im Bett erspüren sei sie ja dann Königin. Das Publikum brüllt vor Lachen.
Es sind die kleinen Dinge, die sie die Märchen und das Leben miteinander verbinden lässt. Ihr Leben. Auch auf der Bühne spürt man ihren Respekt vor den Menschen.
Harry Rowohlt wird genannt, Dank dem sie Winnie Pooh gelesen hat.

In unserem Gespräch erzählt sie, wie privilegiert sie sich fühlt: Sie spricht mit Respekt von Disney-Zeichner Don Rosa, mit dem sie 2014 bei der Buchmesse an einem Tisch saß, Nachfolger von DEM Disney-Zeichner überhaupt, Carl Barks, aus dessen Gesamtwerk sie ihre Lieblingscomics veröffentlichen durfte.
Seit sie 2008 zum ersten Mal den Erlanger Max und Moritz Preis co-moderiert hat, interessiert sie sich auch für Graphic Novels. Und dann natürlich für Andersen, dessen Werken wir lauschen und aus dessen Tagebüchern sie uns ebenfalls vorliest.
Sie gibt im bunten Märchen-Overall "die Stopfnadel" oder "die Teekanne" und man nimmt es ihr einfach ab. Sie IST in diesem Moment der Flachs, der Schneckenvater, all jene Figuren, die Andersen zu Papier gebracht hat.
"Ja, ich bin ein seltsames Wesen" ist der Titel der Andersen-Tagebücher. Hella von Sinnen weiß dieses Wesen einen Abend lang zum Leben zu erwecken und seine Märchenfiguren gleich mit. Man bekommt Lust darauf, weiterzulesen, zuhause dann, wenn der Abend nachklingt.
Ihre Stimme vielseitig beim Vorlesen, dann wieder "et Helli" wenn sie erzählt. Ich vergesse so manches Mal alles um mich herum und sehe die Bilder vor mir, die sie beschreibt.

"Sie könnte auch das Telefonbuch vorlesen", sagt eine Dame neben mir fröhlich und alle um uns nicken lächelnd.
Denn von den Wechseljahren das badische "Hormonpflaschter" mit dem speziellen Singsang sofort zu übernehmen und von der Bühne runter mit dem Publikum zu kommunizieren, kann auch nicht jede. Dann wieder den Bogen gespannt zu kriegen zu "Gülle, Parmesan und Tod", Geschenken von der Tante und Wassermelonen, das ist dann nur noch hohe Kunst.

Das Bühnenprogramm heißt "Ich kann auch ANDERSen". Ja. Ganz anders(en): Heute habe ich Hella von Sinnen als eine Frau erlebt, die zugleich Schauspielerin, Erzählerin und einfach ganz sie selbst ist. Mit wichtigen Freundschaften, mit Lebensbegleitern und dem Humor, der sich Ampelmännchen in Overalls in Gummersbach vorstellen kann - Andersenmännchen in seinem Geburtsort Odense sind schließlich längst vorhanden. Mit einem Augenzwinkern erzählt sie uns zum Teil dramatische Märchen, aber auch ihren Alltag, wenn ein LKW nur rückwärts fährt.

Im Buch finde ich den Satz angestrichen: "Die meisten haben Respekt vor dem aufrichtigen Gefühl".
Das umschreibt für mich die ganze Person und diesen wunderbaren Abend.
Dankeschön :)



Bücher:
Ich bin´s - von Sinnen
nur noch über Antiquariat
ISBN-13: 978-3442305766
Goldmann Verlag

Des Wahnsinns fette Beute
Macken und Marotten auf der Spur
ISBN-13: 978-3499627637
Rowohlt

Mildred Scheel - Erinnerungen an meine Mutter
Cornelia Scheel, Rowohlt Verlag
ISBN-13: 978-3498060879

Andersen: Ja, ich bin ein seltsames Wesen
Wallstein Verlag
ISBN-13: 978-3892444015

Liebe, Lust und Leidenschaft
Die Ducks von Sinnen
ISBN-13: 978-3770433100
Ehapa Verlag

Freitag, 30. Oktober 2015

Das 30-Tage-Projekt: LESEN - Der Traum der Dichterin von Elke Weigel

In der Zeit vor meiner Reisezeit fiel es mir schwer überhaupt ein Buch zuende zu lesen bzw mich darauf zu konzentrieren. Darum beschloss ich die Zugfahrten zu nutzen. Wie herrlich! Von A nach B reisen und dabei in andere Welten abtauchen. Heute für Euch passend zur Braunschweigroute:

Von der Jungfer zur Sternenjungfrau

Coverbild "Der Traum der Dichterin" von Elke Weigel, © Gmeiner VerlagAnnette von Droste-Hülshoff war für uns in der Schule früher der Inbegriff der Langeweile. Jetzt leiste ich beim Lesen Abbitte und danke Elke Weigel, dass sie Annettes Leben neu erzählt. Als Frühchen geboren bleibt die Dichterin zeitlebens gesundheitlich beeinträchtigt und wird zudem nicht immer von ihrer konservativen Mutter und der restlichen Umwelt verstanden.
Genie und Wahnsinn – das trifft es nicht ganz. Aber um Leben und Gefühle zu verarbeiten sucht Annette sich immer wieder eine geheime – nur für sie sichtbare – Verbündete und schreibt, schreibt, schreibt. Wenn sie das nicht kann, fehlt ihr etwas. Zum einen schreibt sie, um der Mutter zu gefallen. Die liest die Gedichte der Tochter gern im Freundeskreis vor. Zum anderen ist es das Schreiben Annettes Ventil. Denn sie liebt Frauen, was gänzlich unmöglich in dieser Zeit ist, noch dazu als die Außenseiterin, die sie ohnehin ist.

Unverstanden von Freunden und Familie

Die Geschwister agieren mal als Verbündete, mal als Fremde, ebenso ist es mit anderen Verwandten. Je älter die junge Annette wird, umso schwieriger gestaltet sich das Leben. Aus den heiteren Sommeraufenthalten bei den Großeltern wird ein Treffen junger Leute, die einander das Leben eher schwer machen, statt den Sommer zu genießen. Die frühere Freundschaft zu ihrer Cousine wird zu einer Feindschaft, die selbst Annette zunächst nicht begreift. Es sind besondere Menschen, von denen hier erzählt wird: die Gebrüder Grimm, Heinrich Straube, alles keine Unbekannten. Eigentlich sollten gerade sie diejenigen sein, die die Dichterin verstehen. Doch die Grimms sammeln ihre Märchen nur von anderen Autoren zusammen und der arme Straube wird von seinen Gefühlen und vermeintlichen Freunden überlistet. Das macht mehr als eine Intrige gegen Annette möglich. Sie wird mehr und mehr zur Zielscheibe und gilt als ewige Jungfer.
Erst als sie durch Zufall ein Haus während der Abwesenheit der Hausherrin bewohnen soll, wird sie zur “Sternenjungfrau” und lernt, dass sie etwas ganz Besonderes ist. Freundin Male scheint dies schon vorher in ihr geweckt zu haben, doch auch hier gilt: Keine Liebe ohne Schmerz.
Ich bin ja von ganzem Herzen Romantiker und bestehe darauf, Frauen als reale Menschen zu sehen, die Männern liebend zur Seite stehen und sich ganz natürlich verhalten dürfen,
ist nur eine der Satzperlen, die diese Zeit beschreiben. Elke Weigel legt nach “Robin & Jennifer” erneut einen historischen Roman vor, der gleichzeitig so ganz anders ist als ihre anderen Bücher. Die Gefühlswelt der Dichterin ist plötzlich die eigene, auch wenn die Gedanken manchmal schwierig nachzuvollziehen sind. Doch eines haben alle Weigelbücher gemein: Ich kann nicht aufhören zu lesen.

Eine große Persönlichkeit wird lebendig

339 Seiten, die uns auch sprachlich in eine andere Zeit versetzen. Sätze wie “Im Verstand der Frau bleibt immer eine gewisse Schwäche zurück” werden glücklicherweise ausgeglichen mit Herzhüpfern wie “Wir lachten bis mir die Tränen herabliefen, und ich das Gefühl hatte, eine Grenze überschritten zu haben. Endlich.” Fühlt sich Annette befreit und scheint etwas unbeschwerter zu leben, gehe ich genauso mit wie in Leidenszeiten oder wenn sich die Dichterin unverstanden fühlt.
Aus der ganz persönlichen Sicht der Annette von Droste-Hülshoff beschreibt Elke Weigel in ihrem Roman eine ganz große Persönlichkeit und eine Zeit, in der es für Frauen alles andere als gerecht zuging – und die ist nicht einmal lange her. Eines haben alle Zeiten in sich: Die Kraft der Liebe, die sich immer gleich stark durchzusetzen versucht. Sternenjungfrau Annette von Droste-Hülshoff sehe ich nun mit ganz anderen Augen und ich werde unbedingt ihre Texte lesen!

Der Traum der Dichterin
von Elke Weigel
341 S. / 12 x 20 cm / Paperback
August 2015, sofort lieferbar
ISBN 978-3-8392-1733-7
auch als epub
gmeiner-verlag.de/programm/titel/1237-der-traum-der-dichterin

Samstag, 7. Juni 2014

Buchtipp: Fünf Jahre danach/Sandra Wöhe

Ihr wisst ja, ich rezensiere für phenomenelle. Diesmal ein ganz spezielles Buch:
Diese Rezension ist für mich eine besondere. Auch ich bin "Fünf Jahre danach" und kenne alle Ängste, Zweifel und Überraschungsmomente, die Beate und Ijana im italienischen Straßencafe sitzend im Gespräch miteinander für uns Leser beschreiben. Die Beiden sind "Krebsschwestern", sie haben überlebt und gehen ganz gleich und doch ganz verschieden damit um - wie wir alle. Ich behaupte, JEDE Frau kann sich in ihnen wiederfinden. Sandra Wöhe hat mir damals, als ich krank war, durch zufälligen Mailkontakt eine Geschichte geschickt, die mich irgendwie getröstet hat. Ich fühlte mich verstanden und nicht alleine mit der Erfahrung. Darum wollte ich unbedingt ihren aktuellen Roman, der so ganz anders ist als z.B. "Giraffe im Nadelöhr" und doch ein echter Wöhe, lesen. Es gibt so viel darüber zu sagen und gleichzeitig bin ich so sprachlos. Es ist ganz sicher kein leicht zu lesendes Buch, andererseits bietet die Kulisse - bella Italia und la dolce vita - eine Ahnung von Sommer und Unbeschwertheit. Die Unbeschwertheit, die wir alle nach den Nachsorgeterminen empfinden. Gleichzeitig aber auch die Angst, dass der Krebs wiederkommt und doch die Gewissheit, dass wir so gemein zu ihm waren dass er sich nicht mehr in unsere Körper traut. Ijana und Beate rauchen im Cafe. Sie trotzen dem Krebs und den Unwägbarkeiten des Lebens und stellen es gleichzeitig infrage. Ijana versucht Beate zu überreden, ein Buch über den Krebs zu schreiben. "Es ist eine Sache, über Krebs zu schreiben, und eine andere darüber befragt zu werden", meint hingegen Beate. Das stimmt. Darüber befragt zu werden wühlt immer wieder auf. Aber es erklärt auch die Müdigkeit, die Erschöpfung, die uns Krebsschwestern überkommt. Die Energie ist nicht mehr dieselbe. Fatigue, neue Pläne, LEBEN - es ist anstrengend und spannend. Und all dieses Durcheinander hat Autorin Sandra Wöhe auf 219 Seiten in Worte gefasst. Ich bin begeistert und fühle mich wieder verstanden. Wenn sie erzählt, wieviele Pillen eingenommen werden mussten oder wie verrrückt man sich fühlt, kann ich nur denken "DANKE für dieses Buch". "Wenn draußen der Tod anklopft, geht innen ein Licht an. Tief unten im Bauch. Diesem Lebensflämmchen das Licht ausblasen zu wollen? Das gelingt niemandem" ist genauso ein wunderbar beschriebenes Gefühl wie ""Wir sind durch die Stürme des Meeres gesegelt, ohne im selben Boot zu sitzen. Und jede musste für sich allein mit der Seekrankheit fertig werden" All diese Gefühle und Gedanken kennen wir Krebsschwestern. Dieses Buch fasst das Unfassbare zusammen, macht Mut aufs Leben und die Liebe, die wie bei Ijana und Robi oder Beate und Eve alles irgendwie doch überdauert. Es ist nicht nur ein Buch für uns Betroffene. Es ist ein Roman, ein Gespräch von zwei Frauen mit denen man plötzlich zusammen im Cafe sitzt, für Angehörige, für die, die wissen, dass es jede von uns treffen kann und für die, die die fünf Jahre noch nicht durch haben. Ich mag es sehr.

Phenomenelle ist gerade 2 Jahre alt geworden